VELINA SUE SCHMID

NEUROWISSENSCHAFT


Therapeutische Präsenz - Rückkehr in den gegenwärtigen Augenblick

Dass wir auf andere Menschen reagieren und sich unser Nervensystem auf die Umgebung abstimmt, das ist klar. Dass wir, bevor wir überhaupt in einen Austausch miteinander gehen, zuerst bei uns in eine Regulation gehen und es somit die Schwingung/Frequenz im Raum runterbringt, das ist noch Neuland - IN DER UMSETZUNG. 

Ein reguliertes Nervensystem schafft Sicherheit. Und das brauchen wir, um mit den Menschen um uns zu kooperieren/interagieren. 

In meiner Studiengruppe, in welchem wir uns mit der Traumatheorie/Traumapädagogik auseinandersetzen beginnen wir kein Treffen, ohne dass wir uns zuerst einige Minuten für die Regulation unserer Nervensysteme nehmen. Und das wende ich auch in meinen Sitzungen an; meine Präsenz soll dir Sicherheit geben, dich zu zeigen.

Hier die Erklärung dazu:

Die Polyvagal-Theorie

- und die Suche nach Sicherheit

Stephen W. Porges ist ein amerikanischer Psychiater und Neurowissenschaftler.

Er ist Professor für Psychiatrie an der University of North Carolina at Chapel Hill.

Präsenz schafft Sicherheit

Das Gewahrsein des gegenwärtigen Augenblicks versetzt den Menschen in die Lage zur Selbstregulation (durch tiefes Atmen und Gewahrsein) und macht eigene zerstreute Selbstzweifel und bisher nicht aufgelöste Probleme bewusst. Sie werden wahrgenommen, dann aber bewusst pausiert, so dass der Mensch sich dem Gegenüber wieder mit völlig offener Präsenz zuwenden kann (vgl. Porges: 211).

Aus Sicht der empirischen neurophysiologischen Erkenntnisse der Polyvagal-Theorie ist ein Gefühl der Sicherheit offenbar eine unverzichtbare Voraussetzung für die Entwicklung starker sozialer Bindungen (d.h. für eine therapeutische Beziehung), die dem Menschen / dem*der Klient*in zu helfen oder ihn*ihr sogar zu heilen vermag. Nach unserer Auffassung empfindet der Mensch / der*die Klient*in aufgrund von gegenwartszentrierter Bezogenheit Sicherheit, was Blickkontakt, einen warmen und weichen Klang der Stimme, eine lebhafte Prosodie, emotionale Einstimmung und Engagement im gegenwärtigen Augenblick einschliesst. Dieses Erleben der Neurozeption von Sicherheit führt schliesslich zur Abschaltung der Defensivreaktionen des Menschen / des*der Klienten*in, was schon an und für sich heilend wirkt und Mensch und Mensch / Therapeut*in und Klient*in ausserdem hilft, sich der Beziehungsarbeit (therapeutischen Arbeit) zu widmen. Ausserdem fördert es die Fähigkeit des Gehirns, neue neuronale Verbindungen zu entwickeln - was wiederum zur Entstehung ruhigerer und gesünderer emotionaler Zustände führt -, wenn durch die Kultivierung und den Ausdruck der Präsenz des Menschen / des*der Therapeuten*in eine sichere therapeutische Situation entsteht (Allison & Rossouw 2013: Cozolino 2006/2007; Geller & Greenberg 2013; Porges 2011/2010)

 

In diesem Sinne verstehen wir (therapeutische) Präsenz und die Schaffung von Sicherheit, welche Präsenz unterstützt, als  einen transtheoretische wichtigen therapeutischen Prozess (Geller et al. 2012). Schon an und für sich machtvoll, kann (therapeutische) Präsenz ihre stärkste Wirkung entfalten, wenn sie in Verbindung mit modalitätsspezifischen Techniken genutzt wird (Geller 2012b; Geller & Greenberg 2012). Erleben Menschen / Klienten*innen statt dessen eine “manualisierte”, nicht-reflektierte Reaktion oder Intervention, ohne dass der Mensch / der*die Therapeut*in in seinem*ihrem aktuellen Erleben des Gegenübers / des*der Klienten*in gewahr ist, und ist der Menschen / der*die behandelnde*r Therapeut*in nicht auf die Begegnung von Mensch zu Mensch eingestimmt, die in einer Psychotherapie stattfinden, kann das Gegenüber / der*die Klient*in in seiner Defensivhaltung verharren und die Wirkung der Intervention aufgrund dessen sehr begrenzt bleiben. Werden die Interventionen hingegen auf eine vom Geist (therapeutischer) Präsenz geprägte Weise dargeboten, die auf die Bereitschaft des Gegenübers / des*der Klienten*in eingestimmt ist, so fördern sie das Sicherheitsgefühl des Gegenübers / des*der Klienten*in und optimieren das Fenster, in dem effektive Beziehungsarbeit / therapeutisch Arbeit möglich ist.